Pfarrer Joseph Müller †

Lebensweg und Martyrium

Bild von Pfr. Joseph Müller

Joseph Müller wurde am 19. August 1894 als jüngstes von 7 Kindern des Lehrers und Kantors Damian Müller und seiner Frau Augusta in Salmünster (Kreis Schlüchtern) in der Diözese Fulda geboren. Sein Vater starb, als er elf Jahre alt war. Er besuchte das Gymnasium in Fulda und meldete sich im Ersten Weltkrieg als Kriegsfreiwilliger. Nach mehreren schweren Verwundungen kehrte er 1918 mehrfach dekoriert als Feldwebel heim.

Joseph Müller studierte Theologie in Freiburg und Münster, bis er schließlich ab dem 01. März 1921 ins Priesterseminar nach Hildesheim kam. Am 11. März 1922 wurde er durch Bischof Joseph Ernst in Hildesheim zum Priester geweiht. Seine erste Stelle bekam er als Kaplan in Duderstadt. Da er Ordenspriester werden wollte, ging Joseph Müller im April 1924 ins Franziskaner-Kloster Frauenberg in Fulda. Aufgrund seiner schwachen Gesundheit musste er dieses im Herbst 1924 wieder verlassen.

Anschließend wurde er Kaplan in Gehrden bei Hannover, Hannoversch-Münden und Celle. Ab Mai 1925 ging er nach Blumenthal bei Bremen und war ab August 1926 in Wolfenbüttel. 1931 bekam er seine erste Pfarrstelle in St. Benno in Bad Lauterberg am Harz und war auch zuständig für die Seelsorge in St. Andreasberg und Braunlage. Anschließend wurde er 1934 nach Süpplingen und im Oktober 1937 nach Heiningen versetzt.

In diesen beiden letzten Orten erregte er bereits die Aufmerksamkeit der NSDAP. Er war für seine menschliche Wärme, die er allen entgegenbrachte, beliebt. Er hat sich insbesondere der Jugendarbeit gewidmet. Müller wollte die Jugend vor den ideologischen Einflüssen der neuen Machthaber bewahren. Von der Gestapo wurde er beobachtet, und von den örtlichen Nationalsozialisten angefeindet und bespitzelt. Seine Aktivitäten und sogar die Predigten und Gottesdienste wurden überwacht. Infolge seiner Kriegsverletzungen und chronischer Krankheiten war er in seiner körperlichen Leistungsfähigkeit erheblich eingeschränkt. Nach einer schweren Operation übernahm Joseph Müller auf eigenen Wunsch im Sommer 1943 die Pfarrstelle in Groß Düngen.

In Groß Düngen dann äußerte er offen seine Besorgnis über die herrschenden politischen Verhältnisse gegenüber dem Ortsgruppenleiter der NSDAP. Als Müller wenige Tage später dessen Vater einen Krankenbesuch abstattete, äußerte er folgenden politischen Witz:

"Ein Verwundeter liegt im Sterben und will wissen, wofür er stirbt. Er lässt die Krankenschwester rufen und sagt ihr: 'Ich sterbe als Soldat und möchte wissen, für wen ich sterbe.' Die Schwester antwortet: 'Sie sterben für Führer und Volk.' Der Soldat fragt dann: 'Kann dann der Führer nicht an mein Sterbebett kommen?' Die Schwester antwortet: 'Nein, das geht nicht. Aber ich bringe ihnen ein Bild des Führers.' Der Soldat bittet dann, dass ihm das Bild zur Rechten gelegt wird. Weiter sagte er: 'Ich gehöre der Luftwaffe an.' Da bringt ihm die Schwester das Bild von Reichsmarschall Göring und legt es zur Linken. Darauf sagt der Soldat: 'Jetzt sterbe ich wie Christus.' "

Diesen Witz hatten vor Joseph Müller schon Tausende und Abertausende vor ihm weitererzählt und daher war der Witz 1944 bereits 6 bis 8 Jahre alt. Das Erzählen dieses Witzes bot Anlass, Joseph Müller bei der Polizei anzeigen und festnehmen zu lassen, da ein Gemeindemitglied ihn denunziert hatte.

Am 17. August 1943 wurde Müller bei der Hildesheimer Gestapo verhört und erstmals am 06. September 1943 verhaftet. Man hielt ihm vor, er habe "Hitler und Göring mit den beiden Schächern verglichen, die an der Seite von Jesus gekreuzigt wurden". Wegen seiner angeschlagenen Gesundheit wurde er zunächst wieder freigelassen. Die NSDAP-Ortsgruppe Groß Düngen wandte sich aber an den Volksgerichtshof in Berlin, und Joseph Müller wurde am 11. Mai 1944 erneut verhaftet und zu weiteren Verhören in das Untersuchungsgefängnis des Volksgerichtshofes in Berlin-Moabit gebracht. Er war sich seiner Lage sehr wohl bewusst und wollte sich ihr mutig stellen. Er weigerte sich, den Namen dessen zu verraten, der ihm diesen Witz erzählt hatte. An seinen Bischof schrieb er: "Ich kann jetzt vorerst nicht mehr seelsorgerisch tätig arbeiten, aber ich werde mit Christus den Weg gehen, der auch seelsorgerisch wertvoll ist, den des Leidens und Betens. Noch kenne ich meinen Weg nicht, den Gott mich in Zukunft führen will, aber ganz gleich, wie und wo das sein wird, er wird keine Jammergestalt antreffen. Aber auch ich brauche vor allen Dingen den Beistand von oben. Er bleibt - und das weiß ich - mir nicht aus."

Zwei Wochen später besuchten ihn zwei seiner Brüder und Diözesanbischof Josef Godehard Machens. Sie berichteten später, dass sie ihn dort als einen "armen Untersuchungshäftling in geflickter Gefängniskleidung, in einem seelisch gebrochenen, zermürbt aufgelösten Zustande" angetroffen hätten. Der Prozess kam vor den Volksgerichtshof Berlin und nicht vor das Landgericht Hildesheim oder vor das Sondergericht Hannover. Vielleicht wäre Joseph Müller mit 10 Jahren Zuchthaus davon gekommen, wenn nicht am 20. Juli 1944 (8 Tage vor Beginn des Prozesses) das Attentat von Oberst Stauffenberg auf Hitler, dem dieser nur knapp entkommen konnte, gewesen wäre. Von jetzt an gab es nur noch Todesurteile. Erst recht gegen einen Priester, dessen Tod dazu dienen sollte, um alle Priester und Bischöfe einzuschüchtern, damit sie kein Wort mehr gegen Hitler und seine Partei zu sagen wagten.

Über den Prozess gab es zunächst nur Aufzeichnungen seines Bruders Oskar Müller. Nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches wurden bei Schachtarbeiten nahe dem ehemaligen Haus des Volksgerichtshofes in Berlin ganze Bündel von Todesurteilen aus den Jahren 1943 und 1944 gefunden. Auch das Todesurteil von Joseph Müller war darunter.

Die Gerichtsverhandlung fand am 28. Juli 1944 statt. Von dem Prozess ist nur noch das Urteil vorhanden. Ein Protokoll über die Verhandlung gibt es nicht. Höchstwahrscheinlich ist es gar nicht angefertigt worden, da in der Gerichtsverhandlung ganz andere Tatsachen erörtert wurden, die sich überhaupt nicht zur Urteilsbegründung eigneten. Während des Prozesses waren neben seinem Bruder Pfarrer Oskar Müller,  Generalvikar Dr. Wilhelm Offenstein auch 4 Männer aus Groß Düngen anwesend. Joseph Müller wurde zum Tode verurteilt. Er nahm das Urteil ruhig und gelassen entgegen und sagte: "Betet für alle, die an meiner harten Totenbahre stehen." Dann wurden ihm die Handschellen angelegt, die er bis zu seinem Tode tragen musste und wurde abgeführt. Die 6 Männer aus Hildesheim und Groß Düngen begleiteten Müller in seine Zelle. Ihnen gab er ein Wort der Vergebung ausdrücklich für alle mit auf dem Heimweg. Ein Gnadengesuch an die "nationalsozialistische Mörderbande" lehnte Joseph Müller ab.

Müller musste vom 28. Juli 1944 bis zum 11. September 1944 auf seine Hinrichtung warten. In dieser Zeit hatte er nur zwei Mal Besuch. Einmal kam sein Bischof und einmal seine zwei Brüder, wobei sein Bruder Pfarrer Oskar Müller ihm dabei ein letztes Mal die Eucharistie spendete. Eine Stunde vor seinem Tode hat Joseph Müller folgendes an Angehörige, Freunde und frühere Gemeinden geschrieben: "Mein Herz ist voll Freude, da es nun heimgeht zum Vater. In einer Stunde bin ich daheim und habe euch für diese Erde verlassen. ...von der Liebe Chrsti kann uns nichts trennen."


Am 11. September 1944 um 13.04 Uhr wurde Joseph Müller während eines Fliegerangriffes auf Berlin mit dem Fallbeil enthauptet. Entgegen dem Brauch wurde in Groß Düngen das Läuten der Totenglocke durch die Machthaber untersagt. An diesem Tag wurden 23 Gefangene enthauptet und 3 weitere gehängt. Die Leichen aller Hingerichteten mussten eingeäschert werden. Dies hatte der Volksgerichtshof in einer Anordnung bestimmt. Es gelang dem Zuchthauspfarrer die Asche von Joseph Müller sowie die eines weiteren Priesters zu bergen und auf dem Stadtfriedhof in Brandenburg beizusetzen. Dies geschah wohl nur durch Wegsehen oder durch die Hilfe der Zuchthausbeamten.

Durch verschiedene Dokumente wird der brutale Zynismus der damaligen Machthaber deutlich. In der Todesbescheinigung für Joseph Müller wurde als Todesursache "plötzlicher Herztod - Atemstillstand, sonstige Bemerkungen - enthauptet" verzeichnet. Am 19. Oktober 1944 - 5 Wochen nach der Hinrichtung - schickte der damalige Oberreichsanwalt den Erben von Joseph Müller eine Rechnung ins Haus. Die Gebühr für die Todesstrafe betrug 300 Reichsmark. Aus anderen Dokumenten geht hervor, dass der Henker nur 30 Mark für die jeweilige Hinrichtung erhalten hat. Den Rest vereinnahmte die Staatskasse, die so noch 270 Mark verdiente.

Auf ausdrücklichen Wunsch des Verstorbenen - "Ich wünsche ausdrücklich, dass ich dort begraben werde, wohin mich meines Bischofs Ruf zuletzt als Priester und Seelsorger bestellt hat. Ruhen möchte ich bis zum Tage meiner Auferstehung unter einem Kreuz mit einem Heiland dran. Das Kreuz war im Leben mein Begleiter. Es soll auch über meiner sterblichen Hülle stehen. Credo in vitam aeternam!" - wurde seine Urne in Groß Düngen beigesetzt. Die 4 Männer, die zum Prozess nach Berlin gefahren waren, durften den Sarg mit der Asche des Toten zur letzten Ruhestätte tragen. Das Grab liegt direkt vor dem Kircheneingang auf dem Kirchengelände an der Hildesheimer Straße in Groß Düngen.

Joseph Müllers Niederschriften im Gefängnis angesichts seiner Verurteilung und Hinrichtung gelten als eindrucksvolle christliche Märtyrerberichte der Neuzeit.

Eine Gedenktafel zu Ehren Joseph Müllers in der Groß Düngener Kirche enthält Sätze, die er mit gefesselten Händen als Stoßgebet an den Rand eines Heftchens geschrieben hatte:

"ICH WILL ABNEHMEN AN ANSEHEN UND SELBST AN LEBEN. ICH WILL VERSCHWINDEN. ALS APOSTOLISCHER ARBEITER BIN ICH CHRISTI BRAUTFÜHRER, WEITER NICHTS."

Diese Tafel stellt den leidenden Christus dar, aus dessen Opfer der Weinstock, die Kirche, Kraft und Leben empfängt. Eine zweite Gedenktafel hängt im Pfarrheim Groß Düngen. Sie enthält neben den Geburts-, Weihe- und Todesdaten folgende Worte, die er am Tage seiner Hinrichtung niederschrieb:

"HEUTE, SO SOLLT IHR WISSEN, KOMMT DER HERR, UND HEUTE WERDE ICH SEINE  HERRLICHKEIT SCHAUEN, UND ES WIRD EIN GROSSES LICHT AN DIESEM TAG SEIN. AUF DICH, O HERR, VERTRAUE ICH, ICH WERDE IN EWIGKEIT NICHT ZUSCHANDEN WERDEN. ICH GLAUBE AN EIN EWIGES LEBEN."

Diese Tafel enthält ein Abbild Pfarrer Müllers als Relief.

Die katholische Kirche begeht den Gedenktag dieses Märtyrerpriesters jedes Jahr an seinem Todestag, dem 11. September. Seit dem Kriegsende wird außerdem in Groß Düngen jedes Jahr am 11. September um 13.04 Uhr die Totenglocke geläutet. In Groß Düngen wurde zum Gedenken an Joseph Müller eine Straße, die Grundschule und das Pfarrheim der katholischen Kirche nach ihm benannt.

Auch das Pfarrheim St. Joseph in Delligsen, einem Kirchort unserer Nachbargemeinde St. Marien Alfeld, ist Joseph Müller gewidmet.

Inzwischen hat sich ein Initiativkreis zur Seligsprechung von Pfarrer Joseph Müller gebildet. Dieser führt momentan eine Unterschriftenaktion zur Seligsprechung durch und hat auch Kontakt zur UNITAS-Studentenvereinigung, der auch Pfarrer Joseph Müller angehörte.  Ferner ist auch ein Buch über das Märtyrium von Joseph Müller erschienen:

"Christus im KZ", Glaubenszeugen im Nationalsozialismus, Autorin: Birgit Kaiser, Sankt Ulrich Verlag, ISBN: 978-3-86744-164-3

Quellenangaben:

St. Cosmas und Damian, Eine Chronik der Katholischen Pfarrei zu Groß Düngen, 250 Jahre Kirchengeschichte;
zusammengestellt und geschrieben von Heinz Hofmann; herausgegeben 1998 vom  Kirchenvorstand der Pfarrgemeinde St. Cosmas und Damian Groß Düngen

Kirchenzeitung für das Bistum Hildesheim

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